Das Tagebuch zum 24h-Rennen 2010

Wie bereits in den letzten Jahren, möchte ich auch in diesem Jahr meine 24h-Erlebnisse in meinem "Online-Tagebuch" hier niederschreiben. Sozusagen live von der Pitlane und aus dem Rennauto...


Freitag, den 07. bis Mittwoch, den 12. Mai 2010
Bereits eine Woche vor dem 24h-Rennen, am Freitag, bin ich spät abends in der Eifel eingetroffen und habe mein Stammzimmer in Hönningen, am Fuße des Nürburgringes in Beschlag genommen. Der offizielle Zeitplan für das diesjährige 24-Stunden-Rennen sieht die ersten Einsätze zwar erst am Donnerstag, den 13. vor und das obligatorische Fahrerwiegen, sowie die Dokumentenabnahme am Mittwoch, den 12., jedoch mag ich dieses langsame Erwachen des schlafenden Nürburgringes vor solch einem Großereignis. Wie in den Szenen des Filmklassikers von 1970 "Le Mans", mit und von Steve McQueen, sammelt sich so langsam alles rund um den Ring herum. Die ersten Fans stecken Ihre Plätze rund um die Strecke ab. Errichten Hochsitze und bauen Ihre Zelte auf... Bis zum Wochenende wird die Anzahl der Besucher auf ungefähr 220.000 steigen. Ich nutze derweil die Zeit um etwas zu entspannen und mich mental auf das Motorsportereignis einzustellen, ein wenig Sport zu treiben und den Kopf von den Vorbereitungen und dem Job freizubekommen.

Donnerstag, der 13. Mai 2010
Viele Automobil-Werksmannschaften und Profiteams treffen sich zu dieser Hatz zweimal rund um die Uhr. Namhafte Fahrer aus der ganzen Welt und allen Bereichen des Spitzenmotorsports wie Formel 1, DTM, Porsche Super-Cup und Rallye Weltmeisterschaft sind mit dabei.

Der Tag beginnt für mich und den anderen Fahrern mit der obligatorischen Fahrerbesprechung im Konferenzsaal. Knapp 750 Fahrer drängen sich in den Saal. Neben mir sitzen Rennlegenden wie Timo Scheider, Mattias Ekström, Marko Werner, Hans-Joachim Stuck, Dirk Müller, Andy Priaulx, Pedro Lamy, Augusto Farfus und Volker Strycek auf der Schulbank. Einweisung durch den Rennleiter, Besonderheiten der Strecke und die Warnung sowohl an die ganz schnellen, wie auch an die langsameren Fahrer, auf gegenseitige Rücksicht. Es werden 2 Helikopter und rund 40 TV-Teams die Veranstaltung live beobachten und weltweit senden. Vor dem Start zum 24h-Rennen auf der Nordschleife gilt es für alle Teilnehmer sich in zwei Trainingsläufen zu qualifizieren. Zuvor haben alle Fahrer die Möglichkeit letzte Fahrzeugabstimmungen in einem zweistündigem "freien Training" durchzuführen. Für mich die zweite Begegnung mit unserem roten Rennwagen. Jedoch wurde das Fahrzeug im Vergleich zu meinem Langstreckeneinsatz 2008 erheblich verändert und verbessert. So brauche ich auch die drei angesetzten Runden mit der Gesamtstrecke von 75km, um mich mit dem Auto vertraut zu machen. Die Qualifikation beginnt um 19:30 mit dem Nachttraining, die vorherrschenden Witterungsverhältnissen sind hierfür aber denkbar schlecht. Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und Regen. Als ich nach meinen Fahrerkollegen gegen 22:00 das erste Zeittraining aufnehme, gesellt sich zu dem Regen auch noch Nebel dazu... Na, dass lässt ja hoffen! Gegen 23:00 wird das Training wegen des Nebels abgebrochen.

Freitag, der 14. Mai 2010
Das Wetter beschert uns zum zweiten Zeittraining Temperaturen kurz unter dem zweistelligen Bereich. Hinzu kommt ein eiskalter Wind, der heftige Regenschauer über den Nürburgring treibt. Bei solchen Witterungen schnell zu fahren, ohne das Auto zu beschädigen ist nicht einfach. Doch alle Fahrer unseres Teams meistern die Aufgabe mit Bravour, während schon im Training zahlreiche Teilnehmer anderer Teams ihre Wagen beschädigten. Nachdem die Trainingszeiten bekannt gegeben wurden, setzen wir uns zur entscheidenden Teambesprechung zusammen, um die Strategie für den Einsatz und Wechsel der Fahrer zu besprechen. Ich habe die Ehre, dass Rennfahrzeug in die Startaufstellung und den Startstint zu fahren. In Summe werde ich 8 Stunden hinter dem Steuer des roten Renners sitzen. Aufgeteilt in sogenannten Stints von je 2 Stunden. 2,5 Stunden sind die Maximalzeit, die ein Fahrer am Stück hinter dem Volant verbringen darf. Unser Teamchef Hans-Christoph Schäfer wird ebenfalls 8 Stunden das Fahrzeug durch die Grüne Hölle reiten. Da unser dritter Fahrer, Dr. Michael Albertz, sich dem Stress von 8 Stunden sowie dem Fahren bei Nacht nicht aussetzen möchte, konnten wir im Vorfeld unseren vierten Fahrer Dietmar Henke verpflichten. Dr. Michael Albertz und Dietmar Henke werden sich also die verbleibenden 8 Stunden jeweils zur Hälfte teilen.


Dietmar Henke zusammen mit Marcus

Samstag, den 15. Mai bis Sonntag, den 16. Mai 2010
Pünktlich zum Start des Rennens reißt die Wolkendecke auf und lässt die Sonne zum Vorschein kommen. Der Wetterumschwung freut nicht nur die Rennfahrer, sondern auch die über 220.000 Zuschauer, welche laut Veranstalter rund um die gut 25 Kilometer lange Rennstrecke stehen.
Ich bereite mich auf meinen Einsatz und den Startstint vor. Ziehe meine feuerfeste Haube über, bereite meine Trinkflasche vor und ziehe Helm und Handschuhe an.





Zwei Teammitglieder helfen mir beim Anschnallen und gegen 13:30 werde ich durch die Boxengasse in die Startaufstellung gewunken. Es ist eine Einführungsrunde rund um die gesamte Nordschleife geplant und beim Überfahren der Start-/Zielgeraden durch das erste Fahrzeug, wird der Start "fliegend" freigegeben. Da bis zur Einführungsrunde noch einige Minuten vergehen, sind alle Motoren ausgeschaltet. Alle Fahrer sitzen angeschnallt in Ihren Rennfahrzeugen.



Noch sind meine Mechaniker bei unserem Rennwagen, zeigen mir den erhobenen Daumen, klopfen mir aufmunternd auf den Helm und das Autodach. Das Schild: "Helfer raus" wird gezeigt und alle Helfer müssen den Startbereich verlassen. Jetzt sitze ich ganz alleine in dem Rennwagen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich erinnere mich an all die Kameras, die Helikopter über mir und all die Zuschauer an der Strecke und vor den Fernsehern. Jetzt nur nichts falsch machen. Das Auto abwürgen, oder schlimmer, den Rennwagen bereits in der ersten Runden von der Strecke werfen.... mein Team, rund 25 Leute die sich hier unentgeltlich die Stunden um die Ohren schlagen, würden mir das nicht verzeihen....

Das "Drei-Minuten-Schild" wird hochgehalten.

Ich starte den Motor.

..... Eine Minute.

...... Start zur Einführungsrunde!

Der helle Wahnsinn! Überall stehen die Menschen an der Strecke und winken. Zum Teil wurden die Absperrungen übersprungen, um den Fahrern näher zu sein. Die Ordner haben alle Hände voll zu tun die Sicherheit der Zuschauer zu gewähren, wenn die Fahrzeuge in der nächsten Runde mit Renngeschwindigkeit um den Kurs gehen. Ich freu mich nicht nur für mich selbst, sondern auch für die Zuschauer, dass der Regen der Sonne gewichen ist. Aber jetzt muss ich mich auf meine Aufgabe konzentrieren. Ich darf den Anschluss nicht verlieren, denn aus dem Mittelfeld kann ich die Startampel nicht sehen. Bereits vor der letzten Kurve zieht das Tempo an. ...Start! Und ich gehe in meine erste Rennrunde in der "Grünen Hölle".



Planmäßig und ohne größere Probleme spule ich meinen 2h-Stint ab und kehre zum ersten geplanten Boxenstop und Fahrerwechsel in die Boxengasse. Hier übergebe ich das Auto an den schon wartenden Teamchef Hans-Christoph Schäfer. Ich springe aus dem Auto, zur gleichen Zeit werden die Räder gewechselt.



Ich helfe Hans-Christoph beim Anschnallen und gebe einige Informationen bezüglich der Streckenbedingungen und des Fahrzeugs weiter. Die Scheibe wird geputzt, es wird getankt und nach weniger als 3 Minuten ist unser roter Renner schon wieder auf der Strecke. Ich muss erst einmal tief durchatmen. Die zwei Stunden haben mich wirklich geschafft. Es gibt Rennautos, die lassen sich einfach und kräfteschonend fahren... und es gibt solche, die verlangen einem Fahrer den vollen Körpereinsatz ab. Zur letzteren Sorte gehört unser Rennwagen. Alles ist extrem schwergängig. Die Lenkung kostet wahnsinnig viel Kraft. Genauso wie die Bedienung der Brems- und Kupplungspedale. Gut, dass ich mich entsprechend vorbereitet habe. Viel mehr als die körperliche Anstrengung, nimmt mich jedoch die mentale in Anspruch. Permanent hochkonzentriert habe ich nicht nur die Strecke vor mir im Blick (die meisten der Kurven sind nicht einsehbar und daher müssen alle Kurvenkombinationen im Kopf abgespeichert sein), zudem muss ich die Rückspiegel beobachten und den schnell herannahenden Werkswagen entsprechend Platz machen. Aber nur dort, wo ich kann und mir nicht allzu viel Zeit verloren geht. In der Nacht wird diese Aufgabe nicht einfacher werden. Eine knappe Stunde habe ich, um ein wenig zu relaxen. Dann soll ich, wie vereinbart, wieder bereit in der Box stehen. Nachdem ich mich etwas erholt habe und mich auf meinen zweiten Stint vorbereite, sehe ich zusammen mit den anderen Teammitgliedern über die Leinwände wie ein Lotus auf der Strecke in Flammen aufgeht und sich der Fahrer noch aus dem fahrenden Auto wirft. Eine gruselige Vorstellung!



Videoausschnitt des brennenden Lotus

Ohne weitere Vorkommnisse absolviere ich meinen zweiten Stint und übergebe um knapp 21:00 das Auto an Dietmar. Jetzt habe ich eine etwas längere Pause und versuche ein wenig zur Ruhe zu kommen. Während meiner Ruhezeit muss das Auto unplanmäßig an die Box, da das Gasgestänge brach. Die Reparatur dauert nicht allzu lang. Schnell wird dieses in der Box geschweißt, neu eingestellt und das Auto wieder in das Rennen geschickt.



Als ich am frühen Morgen das Auto wieder von Hans-Christoph übernehme, ist es noch dunkel. Hans-Christoph informiert mich darüber, dass seit einiger Zeit der 5. Gang unseres Getriebes Probleme bereitet. Dieser springt immer mal wieder heraus. Nun ist es so, dass bei einem frontgetriebenem Fahrzeug in der Kurve permanent Gas gegeben werden muss. Nimmt man Gas weg, oder springt der Gang heraus, so übersteuert das Fahrzeug, also das Heck des Autos bricht aus. Mmmh, nicht nett dieses Fahrverhalten auf den schnelle Kurvenpassagen wie dem Schwedenkreuz oder der Fuchsröhre. Aber wenn man sich darauf einstellt, dann geht es schon. Bereits nach der ersten Runde um die Nordschleife gesellt sich zu dem herausspringenden 5., auch noch der 4. Gang dazu! Erst nur ab und an, dann permanent. Ich habe einige haarige Situationen zu meistern und quäle mich mehr schlecht als recht über meinen 2-Stunden-Turn. Ich komme planmäßig gegen 7:30 in die Box und berichte unserem Chefmechaniker von dem neuen Problem. Schnelle Entscheidung: "Getriebewechsel"! Das Auto wird in die Box geschoben und sogleich macht sich ein Haufen Mechaniker an die Arbeit den Antriebsstrang zu zerlegen. Jeder Handgriff sitzt und schnell ist das Getriebe ausgebaut und bald darauf das neue an seinem Platz.



Dr. Albertz übernimmt seinen Stint und fährt in seine erste Runde unseres 24h-Rennens. Unerwartet biegt er jedoch unplanmäßig bereits nach dieser ersten Runde wieder in die Boxengasse! Kupplungsschaden! Welch ein Ärger. Aber Ansporn für unsere Mechaniker. Das Getriebe wird ein weiteres mal ausgebaut. Da weitere Beschädigungen aufgetreten sind, dauert der Wechsel diesmal aber länger. Insgesamt verlieren wir durch die zwei Getriebewechsel 4,5 Stunden! Aber wir sind noch im Rennen und die Mechaniker bekommen unseren roten Rennwagen wieder flott. Super Leistung der Jungs!



Dr. Albertz spult problemlos den Rest seines Stints ab und übergibt das Auto für den Abschlussturn wieder an Hans-Christoph. Kurz vor 15:00 steht die gesamte Crew an der Boxenmauer zur Start- und Zielgeraden, um unserem roten Renner nach 24 Stunden durch die "Grüne Hölle" zuzuwinken! Wow, wir sind in Wertung und haben nach 24 Stunden die Zielflagge gesehen! Ganz tolle Leistung und ich freue mich wahnsinnig mit dem Team von GMC-Motorsport zusammen dabei gewesen zu sein. Toll, wie reibungslos, versiert und schnell die Mechaniker-Crew gearbeitet hat. Für mich die wahren Helden des Rennens!



Wir sehen uns wieder - 2011 in der "Grünen Hölle"!

Marcus



Die Veranstaltung in kalten Zahlen und Daten:

- Platz Gesamt nach Zieldurchlauf: 120 von über 200 gestarteten zum teil Werks.- oder zumindest werksunterstützten Teams
- Das jüngste Team mit dem ältesten Fahrzeug
- Platz in der Klasse SP3: 14 von 19
- Schnellste Rennrunde: 11min 31.696
- Anzahl der Teammitglieder: 25
- Zurückgelegte Rundenzahl: 86 Runden (a 25,378km) = 2183km
- Boxenstops in den 24 Stunden: 12 Stück (inklusiv 2 Getriebewechsel)




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